Frau Klopsch, der Name „Herzkümmerei“ ist Programm, sie kümmern sich um Menschen mit Liebeskummer. Wie kam es dazu?
Heike Klopsch: Ich stand nach meiner einjährigen Ausbildung zum systemischen Coach bei Boris Alexander und Martin Kreutzer hier in Hamburg vor der Frage, in welchem Kontext ich das Wissen anwende. Ich sah mich anfangs im Karrierecoaching, da ich seit sehr vielen Jahren als Bildungsmangerin tätig war. Dochdann hatte ich ein Schlüsselerlebnis: Das Coaching mit einer Klientin, die mich gebucht hatte, kam nicht voran. Sie wirkte versteinert und verschlossen. Irgendwann fragte ich sie, ob es vielleicht Probleme auf eine anderen Ebene gäbe. Damit hatte ich eine Schleuse geöffnet. Sie begann bitterlich zu weinen und erzählte mir von der bevorstehenden Scheidung.
Da wussten Sie natürlich gleich, warum sie sich nicht auf das Karrierecoaching einlassen konnte...
Ja, sie stand vollkommen neben sich. Ihr Mann hatte sie verlassen für eine andere Frau. Ihr ganzes Leben war durcheinandergewirbelt, sie fühlte sich wie im freien Fall. Ich begann auf Ihren Wunsch hin mit ihr zu arbeiten. Und da hat es buchstäblich „klick“ gemacht. Auf einmal wusste ich: Das ist mein Thema. Als Coach möchte ich dort ansetzen, wo es um die elementaren Dinge des Lebens geht. Dazu gehören Themen wie Gesundheit, Finanzen und vor allem die persönlichen Beziehungen – allen voran die Liebe, der stärksten Kraft im Leben eines Menschen. Wer liebt und geliebt wird, kann viele Dinge im Leben leichter ertragen und bewältigen. Und wer eine Liebe verliert, die ihn über Jahre getragen hat, leidet unsäglich.
Wie ging es dann weiter?
Ich habe im Jahr 2019 das Gewerbe unter dem Namen „Herzkümmerei“ angemeldet. Von Anfang an fanden vor allem Frauen zu mir, die von ihren Männern verlassen wurden – aus ganz verschiedenen Gründen, aber meistens, weil eine neue Frau im Spiel war. Obwohl viele der Ehen vielleicht auch schon länger nicht mehr wirklich intakt waren, trifft so eine Trennung die Frauen extrem hart.
Was spielt sich in den Betreffenden in so einer Situation genau ab?
Es ist eine Art Schock und Trauma, sie erleben die Situation als absolut surreal und können oft keinen klaren Gedanken fassen – so wie es meiner ersten Klienten auch erging. Ein ganzer Lebensentwurf ist gescheitert, die Sicherheit und Geborgenheit einer festen Beziehung nicht mehr da. Das ist oft kaum zu ertragen.
Was raten sie diesen Frauen?
Erst einmal müssen sie zur Ruhe kommen. Viele sind definitiv nicht arbeitsfähig und sollten sich krankschreiben lassen. Es hilft dann definitiv, sich Hilfe zu holen von Jemanden, der sie durch die verschiedenen Phasen dieses Schmerzes begleitet und gleichzeitig hilft, neue Perspektiven zu entwickeln.
Wie geht das vonstatten?
Zuerst geht es darum, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen und sich zu fragen: Was brauche ich? Was würde mir jetzt guttun? Welche Menschen unterstützen mich? Ein stabiles, soziales Umfeld ist wichtig, auch Treffen und Gespräche mit guten Freund*innen. Entscheidend in dieser extrem belastenden Situation ist es auch, auf sein körperliches Wohl zu achten – also genug zu essen, Sport zu treiben, spazieren zu gehen.
Wann endet diese Schockstarre in der Regel?
Das ist unterschiedlich. Je nachdem, wie gravierend die Trennung empfunden wird, kann diese Phase einige Zeit anhalten. Ich führe meinen Klientinnen immer folgendes Bild vor Augen: Auf der einen Seite ist ein ausgetretener Trampelpfad, Sinnbild ihrer Ehe. Auf der anderen Seite ist eine unberührte Wiese, in die sie langsam einen neuen Pfad bahnen. Erst ist er kaum sichtbar, dann wird immer deutlicher, wo er hinführt. In der Zwischenzeit wuchert der alte Pfad wieder zu wie eine Wunde – und damit geht auch der Schmerz.
Was raten Sie den Frauen konkret, um einen neuen Pfad einzuschlagen?
Ich arbeite mit den Frauen u.a. an ihren Ressourcen. Was in meinem Leben gibt mir Kraft, hält und stützt mich. Wenn wir in einer Krisensituaiton sind, und das ist eine Trennung, dann konzentrieren wir uns vor allem auf das, was wir verloren haben – den Partner. Man hat nicht mehr den Blick für das, was man hat. Und das ist oft mehr, als die Verlassenen denken. Darüber kann man versuchen, sich langsam wieder zu öffnen. Zu erkennen, ich bin nicht so „arm“ wie ich glaube, fördert Zuversicht und Selbstvertrauen. Im Coaching helfe ich den Klient*innen auch dabei, neue Perspektiven zu entwickeln. Jeder Mensch braucht etwas, das ihn antreibt und ihm ein Gefühl von Selbstwirksamkeit gibt. Ich frage daher, was sie aus sich heraus gern tun würden oder was ihnen als junge Frau oder als kleines Kind besonders viel Spaß gemacht hat. Die Freude, die wir empfinden, wenn wir etwas tun, ist sehr heilsam. Freude ist eine Emotion, die für das Selbstwertgefühl am wichtigsten ist, ein starker Stimulus. Unddaran lässt oft wieder anknüpfen.
Haben Sie hier ein Beispiel?
Ja, eine meiner Klientinnen hat das Malen für sich wiederentdeckt. Ich hatte Sie gefragt, was ihr in ihrem Leben mal besonders viel Freude gemacht hat. Sie erzählte, dass sie vor ihrer Ehe gemalt hatte. Ihr Mann hatte sie darin nicht unterstützt, sondern, im Gegenteil, ihre Bilder als Kleckserei abgetan. Sie hatte es dann aufgegeben. Diesen Faden hat sie dann aufgenommen und die Staffelei aus dem Keller geholt. Aus ihrem neu entdeckten Hobby schöpft sie bis heute viel Kraft und Selbstvertrauen. Aus Trauer wird viel Kreativität entwickelt. Viele bemerkenswerte Bilder, Musik – oft haben die Künstler*innen getrauert und das auf diese Weise zum Ausdruck gebracht und verabeitet. Aus Trauer kann also durchaus etwas sehr Großes entstehen!
Welche Möglichkeiten gibt es sonst noch, die Trennung zu bewältigen?
Mit alten Mustern brechen, auf zu neuen Ufern sage ich nur. Einem neuen Stern zu folgen und sich für neue Dinge zu begeistern stärkt das Selbstwertgefühl und setzt Glückshormone, u.a. Dopamin, frei. Das bedeutet: Dinge zu tun, die man noch nie gemacht hat oder schon immer mal machen wollte, kann sehr beflügelnd sein – zum Beispiel Klavier spielen, eine neue Sprache lernen oder sich ehrenamtlich engagieren. Eine Klientin beispielsweise hat in der Phase der Trennung eine Ausbildung zur Trauerbegleiterin gemacht. Sich für andere Menschen einzusetzen hat ihr persönlich viel gegeben und sie durch ihre eigene Krise gebracht.
Oft liegt ja der Grund für eine Trennung nicht nur beim Partner, sondern auch bei der Frau selbst. Wie reflektieren ihre Klientinnen ihrer eigenen Rolle im Hinblick auf das Scheitern Ihrer Beziehung?
Das ist eine sehr komplexe Fragestellung. Hier gehen wir einen Schritt weiter und hinterfragen die Beziehungsmuster und Glaubenssätze, mit denen die Frauen bisher unterwegs waren. Viele haben sich für einen Mann entschieden, der im Grunde überhaupt nicht zu ihnen passt – nur weil er etwas in ihnen triggerte, das sie vielleicht an ihren Vater erinnerte. Viele arbeiten sich ihr halbes Leben lang an einem cholerischen Narzissten ab, weil sie damit unbewusst in ihrer Ehe ihr schwieriges Vater-Tochter-Verhältnis korrigieren wollen. Diese und andere Beziehungsmuster decken wir auf. Im besten Fall sucht sich die Klientin in ihren nächsten Partner nach anderen Kriterien aus.
Wie lange dauert so ein Liebeskummer-Coaching?
In fünf bis sieben Sitzungen sind die meisten Klientinnen deutlich stabiler, oft sogar zufriedener und selbstbewusster als während ihrer Beziehung. Zwischen den Sitzungen liegen aber oft einige Wochen, in denen sie sich bestimmten Aufgaben stellen müssen, die wir vorab gemeinsam definieren. Es ist immer eine ganz persönliche Reise aus dem Schmerz ans Licht. Die dauert. Aber sie lohnt sich.